Wer würde nach einem Rosamunde Pilcher eine Diskussion über Liebe anfangen?

Ein Kommentar zu „Aufbruch ins Ungewisse“ (ARD am 14.02. um 20.15)

 

An Valentinstag hatten die Programmmacher der ARD sich für die beste Sendezeit etwas ganz besonderes überlegt. Der von ARDdegeto© produzierte Film „Aufbruch ins Ungewisse“  war die erste Wahl am Tag der Liebe beim Ersten. Man dachte sich wohl die Reichweite die man bei solchen Ereignissen hat – ich meine wer kuschelt nicht gerne Abends mit dem/der Liebsten auf der Couch, gerade an so einem Tag – wäre bei einer herkömmlichen Schnulze verschwendet, möge sie noch so sehr passen.

Worum geht es?
„Aufbruch ins Ungewisse“ zeigt die Perspektive einer nach Afrika flüchtenden deutschen Familie, die durch politische Umbrüche in Europa nicht mehr sicher ist, quasi die Umkehrung der bisherigen Sicht auf die Fluchtbewegungen im Mittelmeerraum.
An Sich ist der Film recht einfach aufgebaut. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit dem innerfamiliären Drama das durch die Unwägbarkeiten der Flucht und dem Aufenthalt in Auffanglagern in Namibia und Südafrika befeuert wird. Die Ursachen, eine ultranationale Regierung in Deutschland die Staatsfeinde und Minderheiten verfolgt und die Flucht an sich, werden hauptsächlich mit kurzen Bildern, Mauerschau und den emotionalen Reaktionen darauf abgehandelt. Echte „Fakten“ oder eine plausible Notsituation, sieht man von der missglückten Ankunft im Schlauchboot an der Küste Namibias ab, werden nicht dargestellt.
Der Kern liegt sowieso auf der Emotionalität der Betroffenen. In fast allen Szenen geht es weniger um eine realistische Darstellung, als um klischeehafte Szenen und die darauf folgende emotionale Reaktion. Allgemein wirkt alles wie ein extrapolierter Mix aus kontinentaler Flucht und der europäischen Handhabung von Flüchtlingen wie sie aktuell verfährt – an Sich erstmal kein Problem.

Wieso der mit Pilcher?
Interessant wird es bei der Methodik. Wie schon im Voraus in den Feuilletons verschiedener deutschsprachiger Zeitungen verlautet, bewegt sich die Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Thema und die Vermittlung einer Botschaft auf der Ebene eines „mit-Zwegenhalmar-reinprügelns“, im Originalton „Holzhammermethode“. Bei Dialogbausteinen (sinnhaft) wie „Warum nehmen wir diesen Wahnsinn auf uns?“ oder „Wenn ich gewusst hätte was hier auf mich zu kommt, dann hätte ich die Reise nie angetreten.“ wird schnell klar auf welchem Niveau wir uns hier bewegen. Fast jede Unterhaltung kommt nicht mal im Ansatz über die platte Dramaturgie die ihr innewohnt hinaus. Wenn ich es vergleichen müsste, dann wäre meine erste Referenz ein Film nach Art „Rosamunde Pilcher“. Einfache und vorhersehbare Handlung, klischeehafte Charaktere die aber in ihrer Breite für jeden Identifikationsspielraum lassen sowie eine simpelste Dramaturgie.

All diese Aspekte finden sich auch in „Aufbruch ins Ungewisse“ wieder.
Da wäre die Handlung:
Dramatischer Aufbruch, gefährliche Landung mit einem Schlauchboot, Chaos und Verzweiflung bei Ankunft im Camp, einer fehlt, drohende Abschiebung, Flucht aus dem Lager, Willkür und Repressionen durch Schlepper, Verbündete im neuen Lager, stellvertretende Szenen über Lageralltag, Koller- und Trotzreaktionen, Schicksale werden weiter ausgeführt, Junge wird gefunden, ist doch nicht der Sohn, Sohn ist tot, Abschiebung droht, Asylbetrug mit einer Win-Win-Situation und damit „Rettung“, Ende.
An vielen Stellen ist der nächste Schritt offensichtlich und wenn man es genau betrachtet, dann ist jeder Ausschnitt ein Abbild dessen, womit 2015 auf allen Medienkanälen die Alternativlosigkeit gerechtfertigt und versucht wurde die Problematik greifbar zu machen.
Da wären die klischeehaften Charaktere:
1. Der hilfsbereite, schwule deutsche Insasse, der willkürlich misshandelt und daraufhin abgeschoben wird.
2. Die starke, bloggende Exil-Widerstandskämpferin die ein hartes privates Schicksal hat und das Kind eines Vergewaltigers trägt.
3. Der helfende und dadurch verfolgte Familienvater
4. Die rebellische, ungehörte Tochter
5. Die verzweifelte Mutter die sich selbst aufgibt
6. Die deutschsprachige Flüchtlingshelferin, die den Asylbetrug deckt
Jeder Charakter erfüllt seinen Zweck darin, über Einzelschicksale zu zeigen wie einem widerfahren kann, wenn man es mit Flucht und Verfolgung im Heimatland zu tun hat.
Da wäre die Dramaturgie:
Eingangsszene: Wortfezen wie „Säuberung“, „volksfeindlich“, „Wo bleibt Papa“ als Reaktion auf Szenen einer Verhaftung, 1984-artige Plakate, blutige Wunde, atemlose Schilderung, Hektik
Nächste Szene: Schlauchboot, bedrückte Gesichter, Chaos, Kentern, gurgelndes Wasser, nebelige Küste, umherirren, Trennung, Müll, Leichen, Felsbrandung
Camp: Desinfektion, gefühllose Massenabfertigung, Fadeout über Zeltmeer, Gelbfilter der das Sonnenlicht verstärken und Farben blasser machen soll
Flucht aus Camp: Harsche Befehle, Leidende Menschen, Verzweiflung, Androhung von Vergewaltigung, Zynismus
usw.

Es werden exemplarische Stationen der Flucht nach Europa in umgekehrter Form dargeboten. Dabei aber keine Ausreißer für ein oder zwei ,,neue Europaspezifische Fluchtcharakterristika“ die das ganze aus seiner Klischehaftigkeit befreien.

Die Debatte, ein Minenfeld.
Jetzt ist es so, dass die Diskussion über diesen Film durch einige kleine Details nicht ganz ohne ist. So informierte noch am Abend der Ausstrahlung der Faktenfinder der Tagesschau, dass das rechte Netzwerk „Reconquista Germany“ die Twitterdisskusion unter dem Hashtag #AufbruchinsUngewisse durch vorbereitete Memes und massenhafte Beiträge die Disskusion manipulieren würde und somit eine allzu drastische Kritik wohl nur auf die Zugehörigkeit zu oben genannter Gruppierung zurückzuführen wäre.
Das ist ein gleichwohl geschickter wie gefährlicher Schachzug.
Wenn man sich nämlich die Beiträge unter genanntem Hashtag durchgesehen hat, so zeigte sich recht deutlich, dass es vier Lager gibt. Auf der einen Seite sowohl Kritiker die aus (reine Vermutung durch Erfahrung) freien Stücken heraus differenziert aber entschieden gegen den Film twitterten als auch solche die eindeutig einem, welchem am Ende auch immer, Netzwerk zuzuordnen waren und in dessen Interesse agierten. Auf der anderen Seite welche, die, allein aufgrund der negativen Reaktion und der durch die Tagesschau hergestellte Verbindung ebendieser zum rechte Spektrum, den Film als gelungen darstellten („wenn sich die Rechten so aufregen muss er ja gut sein“) und die die ihn als Spielfilm abtaten und sagten das dürfe man doch nicht so sehr aus dem Kontext reißen.

 

 

Kritik an Zielsetzung.
Gerade dieser letzten Aussage möchte ich hier widersprechen. Zu Beginn des Films wurden die Darstellung des Status Quo im fiktiven Zukunfts-Deutschland durch ein paar eingeblendete Textzeilen umrissen.
Das alleine ist noch völlig unkritisch. In der Endeinstellung aber wurden die Zahl der aktuell sich auf der Flucht befindenden Menschen eingebildet. Ein Spielfilm mit Fakten zur tatsächlichen Situation am Ende? Hat ein bisschen was von Aufklärung und unterstützt den an manchen Stellen aufkommenden Doku-Charakter des Films. Nun versuchen Manche auf Twitter, wie oben beschrieben, die Massen zu beschwichtigen und mit dem Argument eines „fiktiven Spielfilms“ abzuwiegeln. Bei aller Liebe, aber spätestens mit dem Abspann wurde diesem Argument meiner Meinung nach die Grundlage entzogen.
Aber zu dieser Meinung führt noch ein kleiner Nebenaspekt. Ich weiß nicht wie viele von euch sich noch an die Debatte über klassische Bildung in der Schule, so von wegen „ich kann ein Gedicht analysieren aber keine Steuererklärung machen“ erinnern. Eben bei dieser Gedichtsanalyse lernt man doch ein paar interessante Dinge. So zum Beispiel, dass in der Lyrik oder bei Kurzgeschichten gerne am Ende Bezug auf den Anfang genommen wird um das Gesamtbild abzurunden.
Es ist zwar weit hergeholt, aber nach dem Eingangstext der im Kontext etwas wie „In Europa herrscht Chaos. Rechtsextreme haben in den meisten Ländern die Macht übernommen, es herrscht Willkür, Verfolgung und Unsicherheit.“ sagt, der ansatzweisen Verknüpfung der Ist-Situation im Film mit unserer Gegenwart (der Film spielt in der Zukunft) bezüglich der Reaktion auf die Flüchtlingsströme nach Europa und unserem Umgang damit („wir haben uns das schon Selber zuzuschreiben“ Mutter, ab Min. 37:45), und schlussendlich der Nennung der tatsächlichen Zahl von Menschen die die zuvor im Film beschriebenen Qualen einer Flucht durchstehen müssen, kommt mir  der Einsatz dieses Stilmittel doch sehr einleuchtend vor.
Wenn ich es jetzt deuten müsste, dann wäre meine (entschärfte, aufgrund der oben genannten Stigmatisierung von Kritik) Einordnung, dass man hier mehr Verständnis für einen humanitären Umgang in der bisherigen Verfahrensweise schaffen will. Wenn man weiter geht, dann kommt man zu dem Schluss, dass hier eine Kausalität hergestellt wird – eine, die ich so nicht sehe. Angedeutet wird, wenn sich die deutsche, respektive europäische, Bevölkerung zu sehr dagegen wehre beziehungsweise zu sehr populistisch-rechten Parolen aufsäße, dann führe das zu einem neuen Faschismus in Europa.

Gerade bei solchen Aktionen muss man umso mehr mitdenken.
Bei solchen offensichtlichen Andeutungen davon zu sprechen es wäre „nur ein Spielfilm“ und man solle sich doch beruhigen, finde ich mehr als unverantwortlich! Nur weil hier ein Netzwerk die Chance sieht über ein kontroverses Thema die Deutungshoheit zu erlangen, heißt das nicht, dass man darüber nicht mehr kritisch denken darf! Mit seiner „Warnung“ hat der Faktenfinder damit einer ehrlichen Auseinandersetzung einen Bärendienst geleistet. So wird nur die Spaltung der Gesellschaft und die Abkehr von eigentlich verlässlichen Informations- und Nachrichtenquellen vorangetrieben – ergo das im Film beschriebene Szenario ein wenig realistischer. Ironisch, da man genau das ja verhindern wollte. So etwas klappt aber nur wenn eine ehrliche und realistische Debatte möglich ist. An dieser Stelle möchte ich meinen Bogen schlagen zum eingänglich angestellten Vergleich mit den Pilcher-Filmen. Wer einem so eindeutig erzieherischen Film mit der filmischen Tiefe eines Pilchers überhaupt eine bessernde Wirkung in der Debatte zuschreibt, der hat jeden Realitätssinn verloren. Ich meine niemand hätte den Anspruch z.B. nach dem ZDF Herzkino darüber zu debattieren ob sich das so zuträgt und welche Schlüsse wir daraus für unser Liebesleben und den Umgang miteinander ziehen können. Das ist natürlich auch ein Gegenargument dafür, sich mit „Aufbruch ins Ungewisse“ zu befassen, aber anders als bei dem unkritischen Thema Liebe geht es hier um deutlich mehr. Dadurch beweisen die ÖR einmal mehr wie wenig sie verstanden haben, wie man wieder konstruktive Beiträge liefert die ein breites Publikum ansprechen und eine gesamtgesellschaftlich kontroverse Debatte provozieren.
Provoziert haben sie auf jeden Fall, aber wie schon gesagt, auf diese Provokation ernsthaft einzugehen, beziehungsweise sich in der Debatte auch nur ansatzweise am Film zu orientieren ist bei solchem Versagen quasi sinnfrei.

Bevor wir uns also mit so verzerrtem wir-machen-euch-zu-besseren-Menschen Schwachsinn beschäftigen, sollten wir dafür sorgen, dass unsere Ziele nicht von einer kleinen Gruppe Ideologen sondern den besten Argumenten und denen die sie am Schlüssigsten darlegen können, verfolgt und umgesetzt werden. Dann können wir uns auch wieder konstruktiver damit auseinandersetzten was unser Handeln für einen Auswirkung auf die Zukunft hat!